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Mit dem seit kürzlich öffentlichen Beschluss weist das Bundesverfassungsgericht eine Klage des E-Mail-Anbieters Posteo zurück, der sich gegen die Verpflichtung wehrte, IP-Adressen an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben, weil er diese nicht protokolliere. Posteo ist von dieser Entscheidung „sehr überrascht“, so wie auch wir die Entscheidung mit einigem Erschrecken aufgenommen haben.

Posteos Geschäftsmodell ist es, einen datensparsamen, sicheren und anonymen E-Mail-Dienst anzubieten. Um das zu erreichen, verwenden sie eine Infrastruktur zur Lastenverteilung, die verhindert, dass IP-Adressen mit den E-Mail-Konten in Verbindung gebracht werden können. Entsprechend reagierten sie auf die richterliche Anweisung, die IP-Adressen, die auf ein verdächtigtes Konto zugriffen, an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln mit der Erklärung, dies wäre nicht möglich. Der Staatsanwaltschaft war das egal, sie verhängte ein Ordnungsgeld, gegen das sich Posteo dann wehrte. Diesen Versuch hat nun das Bundesverfassungsgericht abgelehnt.

Die Begründung des Beschlusses ist allerdings erschreckenderweise sehr überzeugend, denn die Rechtslage spricht recht eindeutig gegen die Position von Posteo. Dem sonst in Datenschutzfragen doch so verlässlichem Bundesverfassungsgericht blieb gar nichts anderes übrig, als die Klage des E-Mail-Providers abzuweisen. Denn: Die Strafprozessordnung (StPO) spricht davon, dass die „Überwachung […] der Telekommunikation […] auch in der Weise erfolgen [darf], dass mit technischen Mitteln in von dem Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird“ (§100a (1) StPO). Wie genau das auszusehen hat, wurde im Juli 2017 neu geregelt. Die neue Telekomunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) schreibt fest, dass die IP-Adressen Teil einer Überwachung sein müssen (§7 (1) 9 TKÜV).

Der Gesetzgeber schreibt also den Telekommunikationsanbietern vor, ihre Systeme so zu gestalten, dass eine Überwachung der gewünschten Daten möglich wird. Ob die Daten für die Kommunikation tatsächlich benötigt werden oder überhaupt vorliegen, ist dabei völlig irrelevant. Wenn die überwachende Behörde es verlangt, dann müssen die Daten vorliegen. Wie die Bundesbeauftrage für Datenschutz in ihrer Stellungnahme völlig zutreffend bemerkt, haben E-Mail-Provider nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG) zwar das Recht IP-Adressen zu erheben, sofern es ein betriebliches Erfordernis danach gibt. Eine Pflicht ergibt sich aus dem TKG aber nicht: „Alle diese Erlaubnistatbestände stehen allerdings unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit. Hiermit wird unter anderem dem datenschutzrechtlichen Grundsatz der Datensparsamkeit Rechnung getragen.“ Mit den neuen Verordnungen sorgt der Gesetzgeber also für eine große Verwirrung, die das BVerfG dazu veranlasst, die selbstauferlegte Datensparsamkeit von Telekommunikationsanbietern für verboten zu erklären.

Die Implikationen dieses Beschlusses sind bedenklich und schließen sich dem Trend zur (sinnlosen) Ausweitung der Überwachung in den letzten Jahren an. Posteo muss nun damit rechnen, ihr System in ein unsicheres mit erheblichen Kosten umzubauen, andere Anbieter werden davon entmutigt in Datensparsamkeit zu investieren. Guter Datenschutz wird vom Gesetzgeber abgestraft. Und nicht nur das: Das oberste Gericht erlaubt der Exekutive hier, Daten zu fordern, die gar nicht vorhanden sind. Die Anbieter werden also dazu gezwungen, gegen ihre eigenen Interessen in Antizipation einer Überwachung diese Daten zu erheben. Wie die Bundesdatenschutzbeauftragte schlussfolgert, wird die Überwachung „damit zur eigentlichen Ursache der Datenverarbeitung“.

Da der Weg über die Justiz aussichtslos erscheint, liegt es nun daran, politischen Druck auf den Gesetzgeber auszuüben, die Serie immer restriktiverer Überwachung zu beenden und sich klar und konsequent für die Datensparsamkeit zu positionieren, wie es die EU mit der DSGVO zumindest versucht hat. Auf der einen Seite die deutschen Datenschutzstandards zu loben und auf der anderen Seite aus dem eigenen irrationalen Sicherheitsinteresse eben jene auszuhöhlen ist keine ehrliche Politik.

geschrieben von Lorenz Sieben
am
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